Der Pivot shift Test - Klinische Anwendung und Ergebnisinterpretation

Der nachfolgende Beitrag befasst sich mit der diagnostischen Güte des Pivot shift Tests. Beiträge zum Lachman Test und zur vorderen Schublade habe ich bereits in sehr ähnlicher Weise verfasst. Zwischen den Texten gibt es starke Überschneidungen, da sie sich zu einem großen Teil der gleichen Literatur bedienen. 

Wie bereits in den vorherigen Artikeln, möchte ich auch an dieser Stelle festhalten, dass ich kein Statistiker, Forscher oder besonders erfahrener Spezialist auf dem Gebiet der manuellen Diagnostik am Kniegelenk bin. Ich bin Physiotherapeut mit orthopädischem Schwerpunkt und ich recherchiere aktuell zu Diagnostik und Physiotherapie bei verschiedenen Kniegelenksproblematiken. Dieser Text ist mein Versuch, diagnostische Kennzahlen aus der aktuellen Sekundärliteratur mit den mir zur Verfügung stehenden Ressourcen pragmatisch aufzuarbeiten und praktisch anwendbar zu machen. Er stellt keine systematische oder vollständige Analyse dar.

Ich möchte auch nochmal erwähnen, dass es, um Literatur zur Güte von klinischen Tests verstehen zu können, einiger Grundbegriffe bedarf. Dazu gehören: Validität, Sensitivität (Sn.), Spezifität (Sp.), Positive Predictive Value (PPV) oder Positiver Vorhersagewert, Negative Predictive Value (NPV) oder Negativer Vorhersagewert, Positive Likelihood Ratio (LR+), Negative Likelihood Ratio (LR-), Reliabilität, Kappa Wert (k) und ein paar mehr. Diese Begriffe sind online vielerorts auf Englisch und Deutsch besser erklärt, als ich es hier in diesem Rahmen könnte.

Der Test

Galway et al. (1972) werden regelmäßig als Erstbeschreiber des Pivot shift Phänomens genannt. Basierend auf diesem Phänomen beschreiben Galway und MacIntosh (1980) die ursprüngliche Version des sogenannten Pivot shift Tests. Hierbei wird versucht eine anterioren Subluxation der lateralen Tibia relativ zum Femur in Knieextension zu provozieren, welche sich anschließend im Zuge einer geführten Knieflexion spontan reduzieren soll (Galway & MacIntosh, 1980). Neben dieser Originalvariante existieren einige Modifikationen des Pivot shift Tests (Kuroda et al., 2012; Bronstein & Schaffer, 2017; Vaudreuil et al., 2019; Horvath et al., 2020).

Detaillierte und gut verständliche Instruktionen zur genauen Durchführung des Pivot shift Tests sind in folgenden Videos und Artikeln zu finden: LaPrade (2012), Bronstein und Schaffer (2017), Koster et al. (2018) und Physiotutors (2017).

Soweit nachverfolgbar, wird in der unten beleuchteten Literatur hauptsächlich die diagnostische Aussagekraft des rein manuellen Pivot shift Tests ermittelt (keine Arthrometrie oder spezielle Messinstrumente). Nicht alle Arbeiten sprechen diesen Umstand aber explizit an (z.B.: Jackson et al., 2003; Scholten et al., 2003; Swain et al., 2014; Leblanc et al., 2015; Huang et al., 2016; Decary et al., 2017 tun dies nicht).

Diagnostische Genauigkeit des Pivot shift Tests

Decary et al. 2017

Wie in den vorherigen Artikeln beginnt auch diese Ausarbeitung mit einem Blick auf die Übersichtsarbeit von systematischen Reviews und Metaanalysen (SR/MA) von Decary et al. aus dem Jahr 2017. In der Studie werden sechs Arbeiten zur diagnostischen Validität des Pivot shift Tests ausgewertet und mittels AMSTAR Tool bewertet (das AMSTAR 2 Tool hatten die Autoren noch nicht zur Verfügung): Solomon et al. (2001) [AMSTAR rating 3/11], Jackson et al. (2003) [rating 2/11], Scholten et al. (2003) [rating 6/11], Benjaminse et al. (2006) [rating 8/11], van Eck et al. (2013) [rating 6/11] und Leblanc et al. (2015) [rating 7/11]. Fünf dieser Arbeiten nutzen Arthroskopie oder MRT als Referenzstandard, die Studie von Jackson und Kollegen erlaubt Arthroskopie, MRT, Röntgen oder klinische Diagnose als Referenz. Die einzelnen SRs und MAs unterscheiden sich deutlich in Bezug auf die Inklusions- und Exklusionskriterien (z.B: akute vs. chronische VKB-Verletzung, Begleitverletzungen, Unterscheidung zwischen Partial- und Komplettrupturen, etc.). 

Die Studie von Benjaminse et al. (2006) erreicht mit einem Rating von 8/11 die höchste Punktzahl in der AMSTAR-Qualitätsbewertung. Die Autorengruppe ermittelt für den Pivot shift Test bei Exkludieren von anästhesierten Probanden und Zusammenfassen von akuten und chronischen Verletzungen eine Sensitivität (Sn.) von 24% [95% CI: 21–27%], eine Spezifität (Sp.) von 98% [95% CI: 96–99%], eine positive Likelihood Ratio (LR+) von 8,5 [95% CI: 4,7–15,5] und eine negative Likelihood Ratio (LR-) von 0,9 [95% CI: 0,80–1,0]. In der Studie werden Daten von Probanden mit Partialrupturen, Komplettrupturen und Begleitverletzungen zusammengefasst.

Die restlichen fünf Studien mit Daten zum Pivot shift Test in der Arbeit von Decary et al. geben Punktschätzer, Mittelwerte oder ungepoolte Werte aus der Primärliteratur zwischen 18-79% zur Sn. und zwischen 81-99% für die Sp. an. Neben Benjaminse et al. (2006) geben nur van Eck und Kollegen einen weiteren Punktschätzer zur LR+ an: 5,35. Scholten et al. (2003) ermitteln keine gepoolten Zahlen für die LR+, berichten aber von Werten zwischen 8,2-26,9 in der Primärliteratur. Ein LR- Punktschätzer von van Eck et al. (2013) liegt bei 0,84. Scholten et al. (2003) finden in den untersuchten Arbeiten Werte zwischen 0,50-0,80 für die LR-. 

Decary et al. (2017) kommen zu dem Schluss, dass der Lachman Test von allen VKB-Tests sowohl für den Ein- als auch für den Ausschluss einer VKB-Ruptur den höchsten diagnostischen Stellenwert einnimmt. Ein positives Ergebnis beim Pivot shift Test kann ihrer Meinung nach ebenfalls als starkes Indiz für das Vorliegen einer VKB-Ruptur interpretiert werden. Ein negatives Ergebnis hat für die Autoren aber keine verlässliche Aussagekraft. Es scheint, als hätten Decary et al. (2017) nur Daten von Testungen an wachen Probanden in ihrer Arbeit ausgewertet, dieser Umstand wird von den Autoren aber nicht explizit angesprochen. Die Arbeiten von Jackson et al. (2003) und Scholten et al. (2003) lassen dieses relevante Detail ebenfalls unerwähnt.

Wie auch schon in den vorherigen Artikeln, sollen an dieser Stelle noch eine Reihe weiterer relevanter Übersichtsarbeiten zu der Thematik Erwähnung finden. Diese sind nachfolgend qualitativ aufgearbeitet.

Swain et al. (2014)

Eine SR zur Genauigkeit von VKB-Tests von Swain et al. aus dem Jahr 2014 ist nicht in der Analyse von Decary und Kollegen inkludiert. Swain et al. kritisieren die untersuchte Primärliteratur sowie frühere SRs/MAs als methodisch fehlerhaft. Die Autoren argumentieren, dass die von ihnen gefundene Literatur zu heterogen für eine MA ist und berechnen keine gepoolten Daten. Fünf passende Studien mit Ergebnissen zum Pivot shift Test sind in der Review ausgewertet. Arthroskopie, Arthrotomie und MRT sind Referenzstandards. Laut QUADAS-2 Queckliste erreicht nur eine der Arbeiten ein niedriges Verzerrungsrisiko. Daten von Probanden mit bekannten oder unklaren Begleitverletzungen werden mit ausgewertet. Ebenso sind Ergebnisse von Untersuchungen an anästhesierten Personen in der Analyse eingeschlossen. In der Arbeit wird nicht zwischen akuten und chronischen Verletzungen differenziert. Swain et al. exkludieren jedoch Literatur, in der ein entscheidender Teil der Population bereits vor Anwendung des Indextests eine VKB-Ruptur mittels Referenztest diagnostiziert bekommen hatte.

Die Autoren sprechen sich gegen einen nachweisbaren Nutzen von individuellen VKB-Tests aus und plädieren für mehr Forschung zu effektiven Kombinationen verschiedener Tests. Trotz dieser ernüchternden Empfehlung liegen LR+ Punktschätzer in den untersuchten Arbeiten zwischen 4,4 und 16,4, wobei die Werte in vier von sieben Fällen über 8 liegen. LR- Punktschätzer für den Pivot shift Test sind erwartungsgemäß hoch. 

Huang et al. (2016)

Eine SR und MA von Huang et al. (2016) versucht mit einer breit angelegten Literaturrecherche einen besonders fundierten Blick auf die Primärliteratur zu der Thematik zu ermöglichen. Letztendlich analysieren die Autoren neun Studien zum Pivot shift Test. Nur die Arbeit von Nickinson et al. (2010) wird nicht bereits in den anderen hier besprochenen MAs ausgewertet. Die Studienqualität wird auch in diesem Fall mit dem QUADAS-2 Tool bewertet. Wieder sind Arthroskopie, Arthrotomie und MRT Referenzstandards. Nur Ergebnisse von Tests an Probanden mit isolierten VKB-Rupturen sind analysiert. Akute und chronische Verletzungen werden gepoolt ausgewertet. Die Autoren formulieren nicht eindeutig, ob nur Daten von wachen Probanden ausgewertet sind (Huang et al., 2016, S.30). Es kann nur erahnt werden, dass die diagnostische Aussagekraft bei Vorliegen von Partial- und Komplettrupturen zusammengefasst ist. 

Huang und Kollegen kommen zu folgenden Ergebnissen: Der Pivot shift Test bietet eine sehr gute Sp. (98% [95% CI: 95–99%]), bei niedriger Sn. (49% [95% CI: 43–55%]). Die gepoolte LR+ scheint besonders gut mit 16,00 [95% CI: 7,34–34,87%]). Bei der Berechnung oder Darstellung der LR- scheint den Autoren ein Fehler unterlaufen zu sein, sie geben die gleichen Werte wie für den Lachman Test an (Huang et al., 2016, S.28).

Koster et al. (2018)

In einer narrativen Review aus dem Jahr 2018 empfehlen Koster et al. den Pivot shift Test, um eine VKB-Ruptur zu bestätigen. Die Autoren betonen allerdings, dass der Test anspruchsvoll ist. Für einen effektiven Einsatz muss ihrer Meinung nach eine gute Ausführung sichergestellt werden.

Sokal et al. (2022)

In einer rezent veröffentlichten Übersichtsarbeit zur Genauigkeit von VKB-Tests kritisieren Sokal et al. (2022) die Methodik früherer MAs zu der gleichen Thematik und versuchen, mit einer bivariaten diagnostischen random-effects MA, hochwertigere Ergebnisse zu erhalten. 24 Arbeiten werden dabei von den Autoren analysiert, wobei auch in diesem Fall die Studienqualität mit dem QUADAS-2 Tool bewertet wird. Arthroskopie, Arthrotomie und MRT sind Referenzstandards. Studien an Probanden unter Anästhesie oder mit multiplen Knieverletzungen sind von dieser Review ausgeschlossen. Daten aus arthrotomiegestützten Testverfahren werden nicht für die Berechnung der Indextest-Genauigkeit benutzt.

Die berechneten Werte für den Pivot shift Test (bei Nutzen eines bivariaten Modells und Zusammenfassen von Testergebnissen an Probanden mit Partialrupturen, Komplettrupturen, akuten Verletzungen und post-akuten Verletzungen) lauten wie folgt: Sn. 55% [95% CI: 47–62]; Sp. 94% [95% CI: 88–97]; LR+ 10,70 [95% CI: 5,43-19,30]; LR- 0,48 [95% CI: 0,40-0,56]). Der Pivot shift Test ist auch in dieser Arbeit der VKB-Test mit der höchsten diagnostischen Aussagekraft für das Bestätigen einer VKB-Ruptur. Er ist den anderen VKB-Tests in Bezug auf die Sn. und LR- allerdings deutlich unterlegen. Ein negatives Testergebnis hat kaum diagnostischen Wert.

Erstaunlich sind noch die Ergebnisse aus der univariaten Analyse bei Zusammenfassen von Partialrupturen, Komplettrupturen, akute Verletzungen und post-akute Verletzungen: Sn. 48% [95% CI: 29–68]; Sp. 96% [95% CI: 92–98]; LR+ 1,45 [95% CI: 0,73-2,87]; LR- 0,52 [95% CI: 0,43-0,64]. Die LR+ fällt hier bemerkenswert gering aus. 

Tanaka et al. (2022)

In einer weiteren SR und MA zur diagnostischen Genauigkeit von VKB-Tests versuchen Tanaka et al. (2022) die Testgenauigkeit im Akut-Setting (Verletzung nicht älter als 6 Wochen) zu ermitteln. MRT und Arthroskopie werden als Referenzstandard akzeptiert. Insgesamt werden 8 Arbeiten mit dem QUADAS-2 Tool bewertet und analysiert. Daten von Untersuchungen an Probanden mit Gonarthrose, diagnostizierter Laxität und Meniskusverletzungen sind nicht analysiert. Arthrometrie ist als weiteres Ausschlusskriterium angegeben, zumindest eine Studie mit anästhesierten Probanden ist aber in der Analyse inkludiert. Daten von Probanden mit Partial- und Komplettrupturen sind gepoolt. 

Für den Pivot shift Test ermitteln die Autoren folgende Ergebnisse: Sn. 55% [95% CI: 49-60]; Sp. 96% [95% CI: 91-98]; LR+ 11,60 [95% CI: 5,31-25,33]; LR- 0,49 [95% CI: 0,33-0,72]. Der Pivot shift Test bietet auch auf Basis dieser Analyse eine deutlich schlechtere Sn. und LR- als die anderen gängigen VKB-Tests. Hingegen kann der Test in Bezug auf die LR+ und Sp. abermals überzeugen. Tanaka und Kollegen empfehlen deswegen den Pivot shift Test für das Bestätigen einer VKB-Ruptur. Sie diskutieren des Weiteren, dass eine Kombination aus allen vier gängigen VKB-Tests (vordere Schublade, Lachman Test, Pivot shift Test und Lever sign) die diagnostische Genauigkeit der physischen Untersuchung weiter verbessern könnte.

Huang et al. (2022)

In der neuesten SR und MA zu der Thematik untersuchen Huang und Kollegen den diagnostischen Wert verschiedener klinischer Tests in der Diagnostik von VKB-Verletzungen. MRT und Arthroskopie sind laut Abstract erwünschte Referenzstandards, nicht alle eingeschlossenen Arbeiten erfüllen diese Vorgaben. Es werden ohne Begründung nur Arbeiten mit Veröffentlichung zwischen dem 1.Jänner 2010 und dem 1.Mai 2021 inkludiert. Ob und wie Daten von wachen und anästhesierten Probanden, von verschiedenen Testvarianten, von Untersuchungen mittels Arthrometer, von Testungen an Probanden mit Begleitverletzungen, akuten oder chronischen Verletzungen sowie mit Komplett- oder Partialrupturen zusammengefasst werden, wird nicht transparent beschrieben. Die Studienqualität wird mit dem QUADAS-2 Tool bewertet. Es sind 11 Artikel mit Daten zum Pivot shift Test ausgewertet.

Folgende Kennzahlen ergeben sich für den Pivot shift Test: Sn. 59% [95% CI: 56-62], Sp. 97% [95% CI: 95-98], LR+ 13,99 [95% CI: 9,96-19,64], LR- 0,44 [95% CI: 0,35-0,55].

Reliabilität des Pivot shift Tests

Anschließend möchte ich noch zwei relativ neue Übersichtsarbeiten zur Reliabilität von VKB-Tests ansprechen.

Decary et al. (2016)

Eine SR aus dem Jahr 2016 von Decary und Kollegen untersucht unter anderem die Reliabilität des Pivot shift Tests. Die Studienqualität wird mittels QAREL-Checkliste bewertet. Es wird nicht zwischen Partial- und Komplettrupturen differenziert. Untersuchungen an Probanden mit Begleitverletzungen werden von der Review nicht explizit ausgeschlossen. Ob Daten rein von Tests an wachen Probanden stammen, wird nicht angesprochen.

Die Autoren identifizierten drei Arbeiten mit Ergebnissen zum Pivot shift Test bei post-akuten Knie-Verletzungen (Peeler et al., 2010; Labbe et al., 2011; Yoon et al., 2014). Die Arbeiten zeigen vielversprechende inter-rater Reliabilität für den Pivot shift Test (jeweils P0=0,53, k=0,83 und k=0,87). Basierend auf der QAREL-Checkliste muss die Qualität aller drei Studien allerdings als niedrig eingestuft werden (jeweils 2/11, 4/11 und 3/11 Punkten). Intra-rater Reliabilität wurde in der inkludierten Primärliteratur nicht ermittelt.

Lange et al. (2015)

Eine frühere systematische Übersichtsarbeit von Lange et al. (2015) zu der gleichen Problematik kann aus der damaligen Primärliteratur keine Schlüsse zur Reliabilität des Pivot shift Tests ziehen. Ergebnisse aus Tests mittels Arthrometrie und aus Untersuchungen an anästhesierten Probanden sind von dieser Review ausgeschlossen. In der Arbeit sind allerdings Personen mit akuten und chronischen Verletzungen, partiellen und kompletten VKB-Rupturen sowie Probanden mit Begleitverletzungen am Knie inkludiert.

Übertrag in den klinischen Alltag

Auch wenn dieser Beitrag keine systematische oder gar vollständige Analyse der existierenden Literatur darstellt und meine Statistikkenntnisse fairerweise als amateurhaft beschrieben werden müssen, so können aus meiner Sicht doch ein paar vertretbare Schlüsse für das eigene klinische Handeln gezogen werden.

Vorweg möchte ich darauf hinweisen, dass die beleuchteten Arbeiten unterschiedliche Inklusions- und Exklusionskriterien anwenden und somit unterschiedliche Kohorten untersuchen. Deutliche Variation gibt es im Umgang mit folgenden Faktoren: (1) vergangene Zeit seit Trauma, (2) Partialrupturen, (3) Begleitverletzungen und (4) Anästhesie. Zudem existiert eine beträchtliche Anzahl von unterschiedlichen Testvarianten. 

Versucht man trotzdem eine möglichst allgemeingültige und universell anwendbare Handlungsgrundlage zu formulieren, so kann folgende Aussage getätigt werden: Basierend auf Daten aus Übersichtsarbeiten ab 2001 und später kann ein positives Ergebnis beim Pivot shift Test als Indiz für eine Verletzung des VKBs angesehen werden (Solomon et al., 2001; Jackson et al., 2003; Scholten et al., 2003; Benjaminse et al., 2006; van Eck et al., 2013; Huang et al., 2016; Decary et al., 2017; Koster et al., 2018; Sokal et al., 2022; Tanaka et al., 2022; Huang et al., 2022). Die LR+s aus allen besprochenen Metaanalysen lassen dabei (bei Einteilung nach Jaeschke et al., 1994) einen moderaten bis großen Shift in prä- zu post-Test Wahrscheinlichkeit (Scholten et al., 2003; Benjaminse et al., 2006; van Eck et al., 2013; Huang et al., 2016; Sokal et al., 2022; Tanaka et al., 2022; Huang et al., 2022), die LR+s aus den neuesten Metaanalysen einstimmig einen großen Shift in prä- zu post-Test Wahrscheinlichkeit erwarten (Huang et al., 2016; Sokal et al., 2022; Tanaka et al., 2022; Huang et al., 2022). Die diagnostische Genauigkeit eines negativen Testergebnisses ist deutlich schlechter und erzeugt (bei Einteilung nach Jaeschke et al. 1994) in den analysierten Übersichtsarbeiten mehrheitlich einen kleinen Shift in prä- zu post-Test Wahrscheinlichkeit (Scholten et al., 2003; Benjaminse et al., 2006; van Eck et al., 2013; Huang et al., 2016; Sokal et al., 2022; Tanaka et al., 2022; Huang et al., 2022). 

Aus der besprochenen Literatur kann meiner Meinung nach nicht herausgelesen werden, ob die vergangene Zeit seit dem Trauma, Begleitverletzungen oder das Ausmaß der VKB-Ruptur (partial oder komplett) die Testgüte beeinflussen. Mir ist es in diesem Zusammenhang jedoch wichtig darauf hinzuweisen, dass rein theoretisch jede Form von Begleitverletzung am Kniegelenk das Potenzial hat, die Aussagekraft des Pivot shift Tests zu beeinflussen.

Für ein Beurteilen der Test Reliabilität ist mehr Forschung notwendig. Die Ergebnisse aus den beleuchteten Übersichtsarbeiten sind aus meiner Sicht in Umfang und Qualität nicht ausreichend für eine haltbare Schlussfolgerung (Lange et al., 2015; Decary et al., 2016). 

Wie können diese Erkenntnisse klinisch anwendbar gemacht werden? 

Wie schon in den vorherigen Artikeln kann auch an dieser Stelle auf die Faustregel von McGee (beschrieben in McGee (2002)) zurückgegriffen werden. Ohne großen Rechenaufwand lässt sich mit ihrer Hilfe aus dem Durchschnitt der oben genannten LRs eine prozentuelle Veränderung von prä- zu post-Test Wahrscheinlichkeit schätzen. 

Auf Basis der besprochenen Literatur ergeben sich bei Testung von wachen PatientInnen mit akuter oder post-akuter VKB-Verletzung, Partial- oder Komplettruptur, ohne außergewöhnlich ausgeprägte multidirektionale Instabilität am Kniegelenk folgende pragmatische Richtwerte: Ein positives Ergebnis beim Pivot shift Test erhöht die Wahrscheinlichkeit auf das Vorliegen einer VKB-Ruptur um rund 40% (wertet man nur die neuesten Analysen, ist ein noch höherer Wert zu erwarten); ein negatives Ergebnis beim Pivot shift Test verringert die Wahrscheinlichkeit auf eine VKB-Ruptur um rund 10%. Diese Werte sind bewusst grob geschätzt und dienen als Anhaltspunkte im “clinical reasoning”-Prozess. Die Qualität der einzelnen Literaturarbeiten wird bei diesen Schätzwerten nicht berücksichtigt. Zu erwähnen sei an dieser Stelle auch, dass bei der Faustregel nach McGee ein durchschnittlicher Fehler von 4% und maximaler Fehler von 10% bei prä-Test Wahrscheinlichkeiten zwischen 10% - 90% in Kauf genommen werden (McGee, 2002). 

Inwieweit die vergangene Zeit seit dem Trauma, das Ausmaß der VKB-Verletzung oder Begleitverletzungen die Testgüte beeinflussen, kann nicht abgeschätzt werden. Ob unterschiedliche Testvarianten unterschiedliche Aussagekraft bieten, bleibt ebenfalls offen.

Wie schneidet der Pivot shift Test im Vergleich zu anderen VKB-Tests ab?

Im Großen und Ganzen deutet die beleuchtete Literatur darauf hin, dass der Pivot shift Test der effektivste Test zur Detektion einer VKB-Verletzung ist; ein negatives Testergebnis hat hingegen keinen bedeutenden diagnostischen Nutzen (Solomon et al., 2001; Jackson et al., 2003; Scholten et al., 2003; Benjaminse et al., 2006; van Eck et al., 2013; Huang et al., 2016; Decary et al., 2017; Koster et al., 2018; Sokal et al., 2022; Tanaka et al., 2022; Huang et al., 2022).

In der Literatur wird der Pivot shift Test regelmäßig als besonders anspruchsvoller manueller Test beschrieben. Wer wenig Erfahrung mit dem Test hat, sollte auf andere VKB-Tests ausweichen.

Conclusio und Tipps für die Praxis

Der Pivot shift Test kann bei Verdacht auf eine VKB-Verletzung eingesetzt werden (Solomon et al., 2001; Jackson et al., 2003; Scholten et al., 2003; Benjaminse et al., 2006; van Eck et al., 2013; Huang et al., 2016; Decary et al., 2017; Koster et al., 2018; Sokal et al., 2022; Tanaka et al., 2022; Huang et al., 2022).

Basierend auf den Likelihood Ratios aus den oben genannten Literaturarbeiten ergeben sich in Bezug auf die diagnostische Güte folgende Richtwerte: ein positives Ergebnis beim Pivot shift Test erhöht die Wahrscheinlichkeit auf das Vorliegen einer VKB-Ruptur um rund 40%; ein negatives Ergebnis beim Pivot shift Test verringert die Wahrscheinlichkeit auf das Vorliegen einer VKB-Ruptur um rund 10% (Scholten et al., 2003; Benjaminse et al., 2006; van Eck et al., 2013; Huang et al., 2016; Decary et al., 2017; Koster et al., 2018; Sokal et al., 2022; Tanaka et al., 2022; Huang et al., 2022). Diese Richtwerte können aus meiner Sicht unter folgenden Konditionen angenommen werden: (1) prä-Test Wahrscheinlichkeit zwischen 10-90%, (2) wacher Patient/ wache Patientin, (3) Verdacht auf akute oder post-akute VKB-Verletzung, (4) Verdacht auf partielle oder komplette VKB-Ruptur, (5) kein Vorliegen von ausgeprägten multi-ligamentären Begleitverletzungen am Kniegelenk und (6) routinierter Tester.

Inwieweit die vergangene Zeit seit dem Trauma, das Ausmaß der VKB-Verletzung oder Begleitverletzungen die Testgüte beeinflussen, kann nicht abgeschätzt werden. Ob unterschiedliche Testvarianten unterschiedliche Aussagekraft bieten, bleibt ebenfalls offen.

Wenn möglich, den Test mit genauer Anamnese (Solomon et al., 2001; Wagemakers et al., 2010; Carey & Shea, 2015) und anderen VKB-Tests kombinieren (Swain et al., 2014; Tanaka et al., 2022).

Vor dem Test auf Begleitverletzungen untersuchen: v.a. Verletzungen an medialem Seitenband, lateralem Seitenband, hinterem Kreuzband und den Menisci sind zu beachten;

Es muss davon ausgegangen werden, dass die Testgenauigkeit von der Fähigkeit und Erfahrung des Testers sowie von individuellen Merkmalen der Testperson beeinflusst wird, die oben ermittelten Werte zur Testgenauigkeit können somit nur einen groben Anhaltspunkt für das eigene “clinical reasoning” bieten.

Literatur

Benjaminse, A., Gokeler, A., & van der Schans, C. P. (2006). Clinical diagnosis of an anterior cruciate ligament rupture: a meta-analysis. The Journal of orthopaedic and sports physical therapy, 36(5), 267–288. https://doi.org/10.2519/jospt.2006.2011

Bronstein, R. D., & Schaffer, J. C. (2017). Physical Examination of Knee Ligament Injuries. The Journal of the American Academy of Orthopaedic Surgeons, 25(4), 280–287. https://doi.org/10.5435/JAAOS-D-15-00463

Carey, J. L., & Shea, K. G. (2015). AAOS Clinical Practice Guideline: Management of Anterior Cruciate Ligament Injuries: Evidence-Based Guideline. The Journal of the American Academy of Orthopaedic Surgeons, 23(5), e6–e8. https://doi.org/10.5435/JAAOS-D-15-00095

Décary, S., Ouellet, P., Vendittoli, P. A., Roy, J. S., & Desmeules, F. (2017). Diagnostic validity of physical examination tests for common knee disorders: An overview of systematic reviews and meta-analysis. Physical therapy in sport : official journal of the Association of Chartered Physiotherapists in Sports Medicine, 23, 143–155. https://doi.org/10.1016/j.ptsp.2016.08.002

Décary, S., Ouellet, P., Vendittoli, P. A., & Desmeules, F. (2016). Reliability of physical examination tests for the diagnosis of knee disorders: Evidence from a systematic review. Manual therapy, 26, 172–182. https://doi.org/10.1016/j.math.2016.09.007

Galway, R. D., Beaupre, A., & MacIntosh, D. L. (1972). Pivot shift: a clinical sign of symptomatic anterior cruciate insufficiency. The Journal of Bone and Joint Surgery, 54B, 763.

Galway, H. R., & MacIntosh, D. L. (1980). The lateral pivot shift: a symptom and sign of anterior cruciate ligament insufficiency. Clinical orthopaedics and related research, (147), 45–50.

Horvath, A., Meredith, S. J., Nishida, K., Hoshino, Y., & Musahl, V. (2020). Objectifying the Pivot Shift Test. Sports medicine and arthroscopy review, 28(2), 36–40. https://doi.org/10.1097/JSA.0000000000000260

Huang, W., Zhang, Y., Yao, Z., & Ma, L. (2016). Clinical examination of anterior cruciate ligament rupture: a systematic review and meta-analysis. Acta orthopaedica et traumatologica turcica, 50(1), 22–31. https://doi.org/10.3944/AOTT.2016.14.0283

Huang, Z., Liu, Z., Fan, C., Zou, M., & Chen, J. (2022). Value of clinical tests in diagnosing anterior cruciate ligament injuries: A systematic review and meta-analysis. Medicine, 101(31), e29263. https://doi.org/10.1097/MD.0000000000029263

Jackson, J. L., O'Malley, P. G., & Kroenke, K. (2003). Evaluation of acute knee pain in primary care. Annals of internal medicine, 139(7), 575–588. https://doi.org/10.7326/0003-4819-139-7-200310070-00010

Jaeschke, R., Guyatt, G. H., & Sackett, D. L. (1994). Users' guides to the medical literature. III. How to use an article about a diagnostic test. B. What are the results and will they help me in caring for my patients? The Evidence-Based Medicine Working Group. JAMA, 271(9), 703–707. https://doi.org/10.1001/jama.271.9.703

Koster, C. H., Harmsen, A. M., Lichtenberg, M. C., & Bloemers, F. W. (2018). ACL injury: How do the physical examination tests compare?. The Journal of family practice, 67(3), 130–134.

Kuroda, R., Hoshino, Y., Kubo, S., Araki, D., Oka, S., Nagamune, K., & Kurosaka, M. (2012). Similarities and differences of diagnostic manual tests for anterior cruciate ligament insufficiency: a global survey and kinematics assessment. The American journal of sports medicine, 40(1), 91–99. https://doi.org/10.1177/0363546511423634

Labbe, D. R., de Guise, J. A., Godbout, V., Grimard, G., Baillargeon, D., Lavigne, P., Fernandes, J., Massé, V., Ranger, P., & Hagemeister, N. (2011). Accounting for velocity of the pivot shift test manoeuvre decreases kinematic variability. The Knee, 18(2), 88–93. https://doi.org/10.1016/j.knee.2010.03.008

Lange, T., Freiberg, A., Dröge, P., Lützner, J., Schmitt, J., & Kopkow, C. (2015). The reliability of physical examination tests for the diagnosis of anterior cruciate ligament rupture--A systematic review. Manual therapy, 20(3), 402–411. https://doi.org/10.1016/j.math.2014.11.003

LaPrade, R. (2012). Pivot Shift Test Knee: Sports Medicine Knee Doctor: Orthopedic Surgeon: Minneapolis St Paul, Mn. YouTube. Retrieved November 5, 2022, from https://youtu.be/eLupliz4p04.

Leblanc, M. C., Kowalczuk, M., Andruszkiewicz, N., Simunovic, N., Farrokhyar, F., Turnbull, T. L., Debski, R. E., & Ayeni, O. R. (2015). Diagnostic accuracy of physical examination for anterior knee instability: a systematic review. Knee surgery, sports traumatology, arthroscopy : official journal of the ESSKA, 23(10), 2805–2813. https://doi.org/10.1007/s00167-015-3563-2

McGee S. (2002). Simplifying likelihood ratios. Journal of general internal medicine, 17(8), 646–649. https://doi.org/10.1046/j.1525-1497.2002.10750.x

Nickinson, R., Darrah, C., & Donell, S. (2010). Accuracy of clinical diagnosis in patients undergoing knee arthroscopy. International orthopaedics, 34(1), 39–44. https://doi.org/10.1007/s00264-009-0760-y

Peeler, J., Leiter, J., & MacDonald, P. (2010). Accuracy and reliability of anterior cruciate ligament clinical examination in a multidisciplinary sports medicine setting. Clinical journal of sport medicine : official journal of the Canadian Academy of Sport Medicine, 20(2), 80–85. https://doi.org/10.1097/JSM.0b013e3181ceca45

Physiotutors. (2017). The Lateral Pivot-Shift Test for Anterior Cruciate Ligament Rupture. YouTube. Retrieved October 8, 2022, from https://youtu.be/qqy5IfkEvfw

Scholten, R. J., Opstelten, W., van der Plas, C. G., Bijl, D., Deville, W. L., & Bouter, L. M. (2003). Accuracy of physical diagnostic tests for assessing ruptures of the anterior cruciate ligament: a meta-analysis. The Journal of family practice, 52(9), 689–694.

Schraeder, T. L., Terek, R. M., & Smith, C. C. (2010). Clinical evaluation of the knee. The New England journal of medicine, 363(4), e5. https://doi.org/10.1056/NEJMvcm0803821

Sokal, P. A., Norris, R., Maddox, T. W., & Oldershaw, R. A. (2022). The diagnostic accuracy of clinical tests for anterior cruciate ligament tears are comparable but the Lachman test has been previously overestimated: a systematic review and meta-analysis. Knee surgery, sports traumatology, arthroscopy : official journal of the ESSKA, 10.1007/s00167-022-06898-4. Advance online publication. https://doi.org/10.1007/s00167-022-06898-4

Solomon, D. H., Simel, D. L., Bates, D. W., Katz, J. N., & Schaffer, J. L. (2001). The rational clinical examination. Does this patient have a torn meniscus or ligament of the knee? Value of the physical examination. JAMA, 286(13), 1610–1620. https://doi.org/10.1001/jama.286.13.1610

Swain, M. S., Henschke, N., Kamper, S. J., Downie, A. S., Koes, B. W., & Maher, C. G. (2014). Accuracy of clinical tests in the diagnosis of anterior cruciate ligament injury: a systematic review. Chiropractic & manual therapies, 22, 25. https://doi.org/10.1186/s12998-014-0025-8

Tanaka, S., Inoue, Y., Masuda, Y., Tian, H., Jung, H., & Tanaka, R. (2022). Diagnostic Accuracy of Physical Examination Tests for Suspected Acute Anterior Cruciate Ligament Injury: A Systematic Review and Meta-Analysis. International journal of sports physical therapy, 17(5), 742–752. https://doi.org/10.26603/001c.36434

van Eck, C. F., van den Bekerom, M. P., Fu, F. H., Poolman, R. W., & Kerkhoffs, G. M. (2013). Methods to diagnose acute anterior cruciate ligament rupture: a meta-analysis of physical examinations with and without anaesthesia. Knee surgery, sports traumatology, arthroscopy : official journal of the ESSKA, 21(8), 1895–1903. https://doi.org/10.1007/s00167-012-2250-9

Vaudreuil, N. J., Rothrauff, B. B., de Sa, D., & Musahl, V. (2019). The Pivot Shift: Current Experimental Methodology and Clinical Utility for Anterior Cruciate Ligament Rupture and Associated Injury. Current reviews in musculoskeletal medicine, 12(1), 41–49. https://doi.org/10.1007/s12178-019-09529-7

Wagemakers, H. P., Luijsterburg, P. A., Boks, S. S., Heintjes, E. M., Berger, M. Y., Verhaar, J. A., Koes, B. W., & Bierma-Zeinstra, S. M. (2010). Diagnostic accuracy of history taking and physical examination for assessing anterior cruciate ligament lesions of the knee in primary care. Archives of physical medicine and rehabilitation, 91(9), 1452–1459. https://doi.org/10.1016/j.apmr.2010.06.012

Yoon, K. H., Lee, S. H., Park, S. Y., Kang, D. G., & Chung, K. Y. (2014). Can physical examination predict the intraarticular tear pattern of the anterior cruciate ligament?. Archives of orthopaedic and trauma surgery, 134(10), 1451–1457. https://doi.org/10.1007/s00402-014-2048-y

Zurück
Zurück

Der Lever sign Test - Klinischer Einsatz und Ergebnisinterpretation

Weiter
Weiter

Die vordere Schublade - Klinische Anwendung und Ergebnisinterpretation